Essay anstelle einer Sonate

Paul De Marinis (1993)

Reflexionen über "Edison Effekt", eine Audio-installationsserie aus elektro-optischen Geräten, die alte Fonografenaufnahmen mit Laserstrahlen abspielen.

Mein Titel "Der Edison Effekt" verweist auf verschiedene Zusammenhänge. Da sind zuerst einmal die weitreichenden und unumkehrbaren Folgen, die die Erfindung der Schallaufnahme für die Musik mit sich brachte, für die Klanglandschaft, für Zeit und Ort unseres Gedächtnisses sowie für unser Zugehörigkeitsempfinden. Der Titel soll außerdem an Thomas Edisons ungerechtfertigten Anspruch auf die Erfindung der Glühbirne und an seinen Hang zum Plagiat erinnern, was als Symbol für die generell unklare Autorschaft aller aufgezeichneten Werke gelten kann. Und letztlich beruft er sich als metaphorische Anspielung auf das physikalische Phänomen, das als der Edison-Effekt bekannt ist: Atome eines Glühfadens lagern sich auf der Innenfläche der Glühlampe ab und führen zu ihrer Verdunkelung. Dieses Phänomen thermionischer Emission ermöglichte, als man es verstand, die Erfindung des "Audion" oder der Vakuum-Röhre, und diese wiederum führte später ebenso zur Entwicklung der Klangverstärkung wie zu der des Radios, des Fernsehens und der ersten digitalen Computer. Die oxymoronische Metapher des Verdunkelns von Licht ist sehr alt, sie erscheint im I-Ging, im Mazdaismus und in Shakespeares "die Nacht hat ihre Kerzen ausgebrannt." Die enantiotropische Umkehrung auf atomarer Ebene kann also dazu gebraucht werden, primäre Kräfte zu symbolisieren, oder auch dazu dienen, einen Gemeinplatz zu umgehen, indem man ihn mythologisiert.

Edisons Name und Gesicht sind Synonyme für Erfindung, Brillanz und technologische Innovation. Wie ein moderner Prometheus lockte er Millionen zum Licht. Die Glühbirne, im allgemeinen als seine größte Erfindung angesehen, steht immer noch als ikonische Exklamation von Idee und Erfindung für den Geniestreich schlechthin(1). Die Entdeckung eines möglicherweise in der Erfindung enthaltenen verhängnisvollen Nachteiles - daß die lichterzeugenden Birnen sich selbst verdunkeln und dann eher Schatten als Licht werfen - verstand Edison als Aufdeckung eines potentiellen Defektes, als Fleck auf seiner brillanten Reputation. Um das Paradox mit Ironie zu verbinden: dies ist das einzige wissenschaftliche Phänomen, dessen unbeabsichtigter Nachteil den Namen seines Erfinders trägt. Während andere Titanen des 19. Jahrhunderts wie Tesla, Ampère oder Volta als Namenspatrone für elementare Maßeinheiten oder wenigstens für Dritte-Welt-Staaten fungierten, wurde Edison, in der wissenschaftlichen Welt allgemein als Scharlatan und Handelsvertreter geringgeschätzt, nur widerwillig mit diesem dunklen und verdunkelnden "Effekt" belohnt, um seinen Namen unsterblich zu machen.

Es passiert oft, daß der erste große Fehler oder Widerspruch eines neuen Mediums später zu seiner dominaten Metapher wird. Die entkörperte Auf- dem-Kopf-Stellung bei Della Portas Camera obscura, die Schatten, die das Licht auf Niépces photographische Emulsion warf und damit ein "negatives" Bild verursachten, die durch die Zerbrechlichkeit und Kürze des frühen Zelluloid-Films erforderliche Montage - sie sind die mechanischen Sinnbilder für die Reichhaltigkeit und Komplexität unseres Wissens. Auch Edisons Gesamtwerk gehört dazu. Wie die Glühbirne hat der Fonograf seine "Schatten" auf das Hören geworfen, auf unser Gedächtnis und unser Zeitgefühl. Die falsche und trügerische Qualität der Stimme, die aus dem Fonografen oder Grammofon kommt, gibt in Verbindung mit dem geistlosen Selbstgespräch einer gesprungenen Platte, die Wurzel für das englische Wort "phony" (falsch, Schwindler) ab. Die exakte Wiederholung der Falschheit gräbt sich in unser Gedächtnis ein und erzeugt eine Abfolge von Erkennen, Voraussehen und Erfüllung, die ebenso süchtig macht wie sie vorhersehbar ist. Vor der Erfindung der mechanischen Aufnahme waren Hinweise auf den heutigen Gemeinplatz des "Ohrwurms" - einer Melodie, die im Kopf herumgeistert - nicht in der Literatur zu finden(2).

Die Erfindungen oder besser: die Entdeckung der Klangaufnahme und wieder gabe durch Edison war ein Schock für die ganze Welt, eingeschlossen den Entdecker selbst. Edisons Reputation beruhte auf der Erfindung elektrischer Wunderwerke - aber die sprechende Maschine war ein einfacher mechanischer Apparat, der schon einige Jahrhunderte vorher erfolgreich hätte gebaut werden können, und zwar früh genug, um Bach und Mozart raketenhaft zu internationalen Stars hochzuschießen. Die technologischen Voraussetzungen dazu waren längst geschaffen. Bienenwachs, ein Medium mit der natürlichen Eigenschaft, aromatische und klangliche Essenzen aufzunehmen, war im Überfluß vorhanden. Federgetriebene Uhrwerkstechnik mit Geschwindigkeitskontrolle waren seit dem 17. Jahrhundert gebräuchlich. Die Theorie, daß Klang aus mechanischen Schwingungswechselbewegungen bestand, wurde zu aristotelischen Zeiten aufgestellt und quantitativ von Marin Mersenne erforscht, der sogar schon vor 1650 die Schwingungen einer Stimmgabel auf der Oberfläche einer Messingstange aufnahm. Zu der Zeit, als der Fonograf langsam Gestalt annahm, hatte Edisons legendäres Forschungsteam mit Hochdruck an drei verschiedenen elektrischen Apparaten gearbeitet. Einer (ein Vorläufer des FAX-Gerätes) war eine Maschine zum Kopieren und Übermitteln von Bildern, ein zweiter, eine Variante des Aufnahmetelegrafen, zum Prägen des Morsecodes. Der dritte war ein elektromechanisches Gerät, das die über Telefondrähte empfangene Stimme verstärken sollte. Edison wollte es das "Telespeacan" nennen, obwohl der Apparat gar nicht sprechen konnte. In allen drei Geräten war eine Bleigewindeschraube eingebaut, die einen Kopierstift bewegte, der wiederum auf eine rotierende Trommel auftraf. Im Rückblick scheint das synergistische Erfinderglück offensichtlich: eine Kopiermaschine, eine Maschine zum Aufbewahren von Wörtern und eine Maschine um Klänge zu machen ... aber damals war das nicht so.

Als Edison verkündete, er könne menschliche Sprache aufnehmen und wiedergeben, glaubte man ihm nicht. Bedeutende Autoritäten, unter ihnen der französische Wissenschaftler Sainte Claire de Ville, erklärten zu den schriftlichen Ankündigungen der sprechenden Maschine, sie sei ein Betrug und ein Streich, der heimlich von einem Bauchredner begangen würde:"totally phony" - totaler Schwindel. Entweder war Edison seine Reputation für Schikane vorausgeeilt, oder es gab konzeptionelle Barrieren, die das technische Meisterwerk schwieriger erscheinen ließen, als es wirklich war. Vielleicht weckte aber nur die Vorstellung, die Vitalität der menschlichen Stimme zu komprimieren und die Höhenflüge der Phantasie bei musikalischen Einfällen in einen eindimensionalen Sarg maschineller Reproduktion zu pressen, auf einer elementaren Ebene Ressentiments. Oder möglicherweise hielt sich nur der hartnäckige Gedanke, daß es in der Natur der KIänge läge, von kurzer Dauer zu sein und deshalb immer neu zusammengefügt oder intoniert werden zu müssen(3), etwa wie bei den Intonarumori der Futuristen. Der Geist dieses Zweifels ist für immer verloren. Nun, im Schatten seiner eigenen Reputation stehend, scheint Edison größer und flacher als das Leben zu sein. Unter den Experten war Alexander Graham Bell, Edisons damaliger Hauptkonkurrent, schockiert, als er die Nachricht von dem Fonografen hörte - und verwundert, daß er nicht selbst derjenige war, der ihn erfand."Es erstaunt mich, wie ich mir diese Erfindung entgehen lassen konnte, wenn ich bedenke, für wie viele Jahre meine Gedanken auf genau diesen Gegenstand gerichtet waren"(4), lautet eine vertrauliche Bemerkung. Aber Bell lag ein gewaltiges Stück daneben - seine Forschungen richteten sich auf die Konstruktion mechanischer Modelle des Sprechens und Hörens. Was aber Edison mit dem Fonografen schuf, war kein mechanisches Modell des Hörens, sondern des Erinnerns.

Ein Traum der ersten Fonografierer war es, mit ihren Augen die gewundenen Linien zu lesen, die die Nadel als bleibende Spur auf dem Wachs hinterlassen hatte - die es den Analphabeten ermöglichte zu schreiben, den Ungebildeten zu komponieren und sogar den Geistern der Toten zu sprechen. Solche Anstrengungen erwiesen sich bald als sinnlos(5). Der skopische Antrieb, der aus dem Sichtbaren Erkenntnisse zu gewinnen sucht, hält sich unbarmherzig in der westlichen Welt, scheint aber ungefähr eine Epoche verspätet zu sein. Während sich das 19. Jahrhundert allein auf das Sehvermögen berufen hat, um die Endlosigkeit des Alls zu erfassen (und dabei die Auffassung des 18. Jahrhunderts, derzufolge das All durch Berührung erkennbar sei, beseitigte), berief sich ein älteres taktiles Paradigma vielleicht aufgrund der traditionellen Kodierung in Form von räumlich-mnemonischer Systeme aus der Renaissance, weiterhin auf das Gedächtnis. Bis vor kurzem - den 1980er Jahren - bestand der memorative Akt des Gehörs immer noch darin, einen Diamantstift wie den Fingernagel auf einer Schultafel über die schwarze Vinylplatte zu treiben. Während die Nadel spielte, trug sie das Gedächtnis langsam ab, das sie berührte. Gleichzeitig gravierte sie die im Abspielraum präsenten Klänge minutiös ein und fügte sie der Aufnahme hinzu.

Edisons früheste Versuche waren schwache Eindrücke auf Zinnfolie, die einfach beim Abspielen ausradiert wurden. Tatsächlich war die erste Aufnahme so empfindlich, daß sie nur einmal wiedergegeben werden konnte und dann erstarb. Spätere Anstrengungen mit Wachs erwiesen sich als haltbar genug, um dutzendfach gespielt zu werden, bevor die Effekte der Mechanik, kombiniert mit den Klängen in der Umgebung, sie modifizieren und für immer aus1öschen konnte. Und dennoch war jede Aufnahme ein einmaliges Objekt. Die ersten Zylinder in Massenproduktion aus Edisons Labor wurden so hergestellt, daß der Klang eines Orchesters von zwanzig oder mehr Fonografen gleichzeitig aufgenommen wurde: eine Produktion von mehreren hundert Zylindern, die jeweils zwei Minuten des gleichen Walzerklanges wiedergaben, beschäftigte ein Orchester den ganzen Tag(6). Um die Jahrhundertwende, mit dem Auftreten von Galvanisierung und Goldmatern, konnten viele tausend Aufnahmen hergestellt, verkauft, gespielt, genossen und ausgeleiert werden, bis das Orchester sich wieder zusammenfinden und den Walzer neu intonieren mußte. Die Eskalation dieser ökonomischen Übung gipfelt in der digitalen Compact Disc, ein Konsumgegenstand, dessen Dauerhaftigkeit schier unendlich ist und dessen Verhältnis zu den originalen Schallwellen - also sein Gebrauchswert - nur vom herrschenden Geschmack bestimmt ist. Der Laserstrahl berührt die digitalen Vertiefungen nur flüchtig, und der Aufprall seiner Fotonen verursacht keinerlei Materialabrieb. Der Bruch ist total: Die Emanzipation des Gedächtnisses von der Berührung ist vollendet. Das Zeitalter des Palimpsests ist vorbei.

1. Ungeachtet Felix-the-Cats ektoplasmatischer Zeichensetzung - Einblicke, die zu Werkzeugen von Nachforschungen oder Aggression werden könnten.

2. Wir wissen weder, ob Emily Dickinsons Bild des Geistes, der in seinem Trott läuft, sich auf Klangmaterial bezieht, noch, oh Edison von ihrer Bilderwelt inspiriert wurde.

3. Solche Synthese impliziert eine vorherige Analyse. Diesem Gedankengang inhärent (der bis heute in der Computermusik vorherrscht) ist die Idee des "physical modelinge" (Klangmodellierung nach physischem Muster)- grundsätzlich ein Beweis dafür, daß der Autor alles genau versteht und daher das fragliche System dominiert.

4 Zitiert nach Douglas Kahn, Wireless Imagination, M.I.T Press, Cambridge, Massachusetts 1992, S. 86.

5. Es dauerte his in die letzte Dekade des 20. Jahrhunderts, bis sich die sichtbaren Spuren der Sprache dem menschlichen Lesen ergaben, und sei es nur dem einen Menschen namens Victor Zue.

6. Indem mehrere aufnehmende Fonografen im Studio verteilt waren, konnten primitive Stereobilder aus der Kombination zweier Zylinder eines Taktes hergestellt werden.

Übersetzung: Marta Brech(1996)